Spezielle Aufträge

Von Zeit zu Zeit bekomme ich Anfragen der spezielleren Art. Ja, richtig gedacht: Portraits von unterhalb der Gürtellinie. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, oder einen solchen Anblick als anstößig betrachten würde. Aktzeichnen ist immerhin eine wichtige Grundlage des anatomisch korrekten Zeichnens. Doch hier muss etwas differenzierter betrachtet werden. Ist es eine Fokussierung auf das Geschlecht oder eine ganzheitliche Aktzeichnung mit der Natürlichkeit einer Person? Kann ich ausschließen, dass die Fotovorlage jemand anderen zeigt, als den Auftraggeber selbst? Meine Skepsis solchen Aufträgen gegenüber liegt in der Intention, die ich dahinter vermute.
Obsessiv ?
Also zu der Frage, warum möchte jemand sein bestes Stück verewigen? Das resultierende Werk ist eher nicht geeignet öffentlich präsentiert zu werden und selbst in privaten Räumen würde kaum jemand ein solches Bild an die Wand hängen. Kann es sein, dass es hier dem Auftraggeber um den Prozess und nicht um das Ergebnis geht? Liegt der Reiz, darin, nackt gesehen zu werden, intensiv betrachtet, mit dem Zeichenstift in Form gebannt und mit weichen Schattierungen zu einem realistischen Abbild gemacht zu werden?
Bezahlter Voyeurismus?
Wenn alle Beteiligten (Volljährigkeit vorausgesetzt) sich dessen bewusst sind, sollte es doch kein Problem darstellen, oder? Immerhin ist der menschliche Körper das Natürlichste der Welt. Doch ist sich der Auftraggeber oder die Auftraggeberin im Klaren darüber, welche Art von Dienstleistung eigentlich in Anspruch genommen wird? Ich kann nur vermuten, dass Exhibitionismus hier ein treibendes Motiv ist und unter dieser Prämisse würde ich als Voyeur unter dem Deckmantel der Kunst bezahlt, um zu sehen und mich mit dem Gegenstand der Obsession zu beschäftigen. Weise ich darauf hin, so schrumpft die Motivation schnell zusammen und es bleibt eine Luftnummer; ein peinliches Schweigen auf anonymem Wege, wo man sich nicht in die Augen sehen muss.
Es gab schon immer erotische Kunst !
Erotische Darstellungen sind so alt, wie die Menschheit selbst und haben einen berechtigten Platz in der Kunst, doch lag es bis zur Digitalisierung in der Hand des Kunstschaffenden diese darzustellen. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Künstler aus der eigenen Vorstellung, oder im direkten Gegenüber ein Werk zeichnet, oder ob ein Foto gesendet wird. Die Intention des Modells entscheidet hier, ob der Fokus auf dem Werk oder dem Prozess liegt. Ich sehe mich in der Pflicht diese zu hinterfragen, denn begebe ich mich in die Rolle eines Voyeurs, bin ich nicht mehr Künstler, sondern das Objekt.
Hinweis: Dieser Blogbeitrag basiert auf meinen Erfahrungen und Ansichten. Es darf gern darüber diskutiert werden und für weitere Blickwinkel bin ich stets offen.